Die Neuverglasung der nördlichen Fensterrose durch Susanne Precht

Beim Wiederaufbau der Thomaskirche wurde in den Schlussstein des mittleren Emporebogens gegenüber vom Altar ein Wort aus Jeremia 31,4 eingemeißelt, das Versprechen Gottes an seine Gemeinde: „Wohlan ich will dich wieder bauen.“

Dieser Wunsch, die Kirche wieder zu bauen, konnte seit den frühen 90er Jahren umgesetzt werden. 
Dazu trägt auch die wieder geöffnete Fensterrose über dem Altar mit bei. Für sie hat die Glasgestalterin Susanne Precht aus Lauscha ein Meisterwerk geschaffen, das sich gleichrangig in die Reihe jener Kunstwerke einfügt, mit denen die Kirche seit ihrem Wiederaufbau so besonders herausgehoben ist.

Dieses Fenster über dem Altar hat einen Durchmesser von mehr als vier Metern und steht in besonderer Weise im Blick der Gemeinde. Um ein mittleres siebenpassiges Fenster sind sieben kleinere Rundfenster angeordnet. In deren äußere Zwischenräume sind noch einmal sieben kleine runde Fenster eingefügt. Diese sogenannte Rose besteht also aus insgesamt 15 Teilen. Bis zur Zerstörung waren in ihr die Sieben Seligpreisungen Jesu dargestellt.

Die Neuverglasung verzichtet auf erzählende und figürliche Darstellungen und unterscheidet sich so nicht nur von den im Krieg zerstörten Scheiben, sondern auch von den wertvollen Fenstern Karl Völkers, die die Thomaskirche prägen, dem größten Zyklus von Glasmalerei der Nachkriegsjahre im Osten Deutschlands.

Susanne Precht hat für die neue Fensterrose opakes Glas verwendet, das sich von der älteren Verglasung unterscheidet. Es scheint eine eigene Leuchtkraft zu besitzen und kann so auch die hier auf der Nordseite fehlende Sonne kompensieren. Neu ist die Beschränkung des Entwurfes auf wenige Farben und die Zusammenfassung der einzelnen Scheiben der Rose zu einer Einheit.

Man wird das Fenster als Ganzheit wahrnehmen und wird doch immer wieder auch die (nicht beschreibbaren) Einzelformen mit Interesse sehen. Die Rose lebt von der Spannung zwischen dem Großen und dem Kleinen und von den ruhigen und zugleich beunruhigenden  Farben, die ein Eigenleben entfalten, und lässt den Betrachter zwischen frei schwebenden Gebilden, stillen großen Flächen und den begrenzenden Linien suchen und verweilen: ein kaum endender Prozess.

Ein starkes, kühles Blau – der Himmel? – wird nach der Mitte hin an verschiedenen Stellen und noch einmal ganz im Zentrum des Mittelfensters selbst weiß aufgehellt. Die Ruhe und zugleich Unruhe dieser Aufhellung schafft eine leicht kreisende Bewegung um die Mitte. 
Zum Blau kommt Rot – die Farbe des Blutes? -, auch dies in einer eher kühlen Variante, karmin. Nicht zuletzt sind es diese roten spitzen Einsprengsel, die außen in den blauen Feldern aktivierend wirken, Flächen wie Kontinente und geometrische Formen, teils glatt begrenzt, teils wie löchrig. 
Im Mittelfenster dagegen formiert sich Klarheit. Hier fügt sich beruhigend das wenige Rot in den umlaufenden Kreis, der um ein in anscheinend unendliche Tiefen reichendes und zugleich aufstrahlendes Weiß herumläuft. 
Die teils klar begrenzten, teils verlaufenden blauen, roten und weißen Flächen der Rose werden durch zahlreiche dünne oder stärkere schwarze Linien gegliedert und zugleich zusammengefasst. Auch bei diesen Linien tritt klare Geometrie in ein abwechslungsreiches Spiel mit frei verlaufenden Kurvaturen und Schwüngen.
Ein äußerer Kreis schließt kleine und große Rundfenster zusammen. Die zweierlei Mittelpunkte, die sich in seinem Inneren ausmachen lassen, nur wenig voneinander senkrecht versetzt, bewirken eine weitere spannungsvolle Beziehung. 
Auf die mehr unten gelegene „Mitte“  bezogen sind von oben und den Seiten aus diagonal verlaufende Geraden ausgerichtet. Ihre angedeuteten Rhomben formen eine Art kristalline Figur. 
Eine zweite, etwas oberhalb gelegene „Mitte“ ist von zwei Teilkreisen umgeben, die zwei elliptische Formen ergeben. Sie scheinen zu Augen zu verschmelzen, mit dem Kreis des Mittelfensters als „Pupille“. 
So ergänzen sich die gerundete Ellipse als organische Form und die anorganische der „kristallinen“ Geraden. 
Die „Mittelpunkte“ der beiden von den schwarzen Linien gebildeten Gestaltung liegen bei der Verschiebung noch im Bereich des Fenstermittelpunktes, als würden Belebtes und Unbelebtes (aber auch Lebendiges und Konstruiertes, frei Bewegtes und streng Geordnetes) in dieser geheimnisvollen Mitte der großen Rose zusammengeführt.

Was hier zusammengeführt, ist Freiheit in der Ordnung und Ordnung in der Freiheit.

 

Nach Pfarrer i. R. Karlheinz Meißner